Immer wieder kann erlebt werden, wie in der städtischen Politik die Barrierefreiheit beschworen und eingefordert wird. Alle bekennen sich sehr gerne dazu, dass doch dringend noch einiges geschehen müsse. Die Maßnahmen, unsere Stadt barrierefrei zu gestalten, bleiben jedoch meist halbherzig.
„Stellen Sie sich vor, Sie möchten an einer schulischen Veranstaltung ihres Enkelkindes teilhaben und können nicht dabei sein – weil Sie im Rollstuhl sitzen und nicht in den städtischen Veranstaltungssaal kommen. Stufen und Türen machen es unmöglich. Wenn es sich dabei um den Rosensaal handelt, kann das durchaus passieren. Allein besteht keine Chance, die Barrieren zu überwinden. Erst mit Hilfe etlicher Helfer wäre es möglich, in den Saal zu gelangen. Einmal geschafft, überlegen Sie es sich dann zweimal, ob sie nochmal kurz raus wollen. Und hoffentlich drückt die Blase nicht.“, resümiert Sinan Sert Gespräche mit Betroffenen.
Unter Barrierefreiheit versteht man unter anderem die Gestaltung der baulichen Umwelt, so dass sie auch von Menschen mit Beeinträchtigungen ohne zusätzliche Hilfen genutzt und wahrgenommen werden können. Immer wieder kann erlebt werden, wie in der städtischen Politik die Barrierefreiheit beschworen und eingefordert wird. Alle bekennen sich sehr gerne dazu, dass doch dringend noch einiges geschehen müsse. Die Maßnahmen, unsere Stadt barrierefrei zu gestalten, bleiben jedoch meist halbherzig.
An die langatmige Diskussion um einen barrierefreien Zugang zur Post beispielsweise sei an dieser Stelle erinnert. Hier hatte die Stadtführung zwar zurecht darauf verwiesen, dass es sich ja nicht um eine städtische Liegenschaft handelt. Doch blieben etliche Hinweise auf die Mängel städtischer Liegenschaften in Bezug auf Barrierefreiheit doch unbeachtet. In seltenen Fällen versucht man mit Behelfsmaßnahmen die eine oder andere Situation zu entschärfen.
Beispiel Rosensaal. Zugegeben, der Bau ist nicht der neueste und dementsprechend auch nicht barrierefrei geplant und gebaut worden. Doch handelt es sich hier um einen städtischen Veranstaltungssaal, der nach heutigen Maßstäben dennoch entsprechend barrierefrei gestaltet werden sollte. Insbesondere da der Rosensaal eines der am häufigsten beanspruchten Säle der Stadt ist. Der Eingangsbereich ist zur Zeit für einen Rollstuhlfahrer ohne fremde Hilfe nicht zu bewältigen. Auch mit fremder Hilfe bleibt es schwierig und ein ordentlicher Kraftakt für die Helfer. Von Sanitärräumen mal ganz zu schweigen. Nach Beschwerden und Hinweisen versucht man nun mit einer behelfsmäßigen Rampe zu einem Nebeneingang die untragbare Situation zu entschärfen.
Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass das Thema Barrierefreiheit nach wie vor nicht den Stellenwert erhält, den es in einer Gesundheitsstadt aus Sicht der kurstädtischen Sozialdemokraten haben sollte. Es geht nämlich nicht lediglich darum, mit einer Behelfsrampe eine Stufe zu einem Nebeneingang zu überbrücken. Solche Maßnahmen vernachlässigen einen zentralen und ausschlaggebenden Aspekt im Thema Barrierefreiheit: Eigenständigkeit.
Ein Mensch im Rollstuhl soll die Möglichkeit haben, eigenständig, auch ohne fremde Hilfe, in einen städtischen Veranstaltungsraum gelangen zu können. Er soll nicht erst laut nach Hilfe rufen müssen, damit irgendjemand vielleicht einmal aus dem Fenster lukt, um anschließend freundlicherweise eine Tür zu öffnen. Er soll sich die Benutzung einer Toilette nicht verkneifen müssen, weil es weit und breit keine entsprechend gestaltete Toilette gibt. Stufen sollten über rollstuhlgerechte Rampen oder Hebevorrichtungen zu bewältigen sein. Türen, insbesondere schwere Eingangs- oder Brandschutztüren sollten mit automatischen Türöffnern geöffnet werden können. Toilettenanlagen müssen auch für Rollstuhlfahrer eigenständig erreichbar und benutzbar sein. In modernen Einrichtungen sind solche Toiletten sogar mit Alarmvorrichtungen ausgestattet.
„Als Stadt und Stadtpolitiker dürfen wir dieses Thema nicht ständig vor uns herschieben und uns hinter halbherzigen Behelfsmaßnahmen oder vermeintlichen Kosten verschanzen. Das Thema muss beherzter und mit Herz angepackt werden. Tun wir es nicht, bleibt nicht einfach nur ein Thema auf der Strecke, sondern vor allem die Menschen, die das Recht haben, eigenständig an den Angeboten unserer Stadt teilhaben zu dürfen.“, fordert Sert alle Fraktionen auf, Nägel mit Köpfen zu machen.
Die Bad Nauheimer SPD möchte ein klares Signal setzen und wird deswegen beantragen, dass spätestens Ende 2020 sämtliche städtische Liegenschaften mit Publikumsverkehr nach modernsten Standarts barrierefrei und rollstuhlgerecht gestaltet sind. Die laufenden Haushaltsberatungen bieten jedenfalls die ideale Gelegenheit, die entsprechenden Mittel zu etatisieren.